decorative

Der erste Fonds: Ursprung und Erbe des Massachusetts Investors Trust (MIT)

Auf dem Höhepunkt der Spekulation in den 1920ern entwickelte MFS ein neues, bahnbrechendes Anlageinstrument: Mit dem offenen Investmentfonds sollten auch weniger wohlhabende Investoren transparent, kostengünstig und erfolgreich investieren können.

Mitte der 1920er-Jahre boomte die US-Wirtschaft, und die Aktienkurse stiegen auf immer neue Allzeithochs.1 Die Goldenen Zwanziger waren eine Zeit voller Optimismus, Euphorie und Innovationen. „Was werden sie sich als Nächstes ausdenken?“2, 3 Diese Frage hörte man ebenso oft wie die Geschichten von Menschen, die schnell reich geworden waren. Viele fragten sich daher, ob ihnen das auch gelingen könnte.4

Aber für amerikanische Durchschnittsfamilien war der kaum regulierte US-Aktienmarkt ein Minenfeld.5 Die damals üblichen geschlossenen Fonds, die beliebtesten gemeinsamen Geldanlagen, waren nicht immer seriös, und nicht selten geriet das schwer verdiente Geld in Gefahr.6 Manche Investmentmanager setzten gezielt auf das Unwissen unerfahrener Anleger. Sie verkauften sogenannte spekulative Beteiligungen. Auf den ersten Blick schienen sie interessant, waren aber hochriskant und am Ende oft wertlos.7 Die Fondspositionen wurden nicht offengelegt, sodass man letztlich kaum erfahren konnte, was die Anteile wirklich wert waren.8

Wer in einen solchen geschlossenen Fonds investierte, war kein direkter Eigentümer der Wertpapiere. Kleinanleger, die ihre Anteile wieder verkaufen wollten, mussten dazu jemanden finden, der sie übernahm. Eine Rückgabe an den Fonds war nicht möglich. Wegen der schwachen Regulierung hatten die Käufer der Anteile kaum einen Anreiz, einen fairen Preis zu zahlen.9 Und das war noch längst nicht alles: Viele Fondsmanager liehen sich Geld für den Kauf spekulativer Aktien,10 und manchmal beteiligten sie sich sogar an anderen spekulativen geschlossenen Fonds11.

Edward Leffler, einer der ersten Treuhänder von MFS, wusste, dass solche Fonds großen Schaden anrichten können. Ihm schwebte daher ein transparenteres und ethischeres Anlagevehikel vor: ein Fonds, der zusätzliche Anteile ausgeben könnte, wenn neue Investoren Interesse zeigten.12 Noch wichtiger schien ihm aber, dass die Investoren ihre Anteile jederzeit an den Fonds zurückgeben können13 – und zwar zu einem fairen Preis, der dem Wert der Fondspositionen entspricht14, 15. Bei geschlossenen Fonds war das nicht so. Oft unterschieden sich die Verkaufspreise vom Marktwert der Positionen,16 sodass sie oft viel zu teuer waren. Lefflers Anlagevehikel sollte Durchschnittsbürgern und ihren Familien finanzielle Sicherheit ermöglichen.

Leffler hatte früher Einzelwerte verkauft. Bei seinen Gesprächen an den Küchentischen der Kunden war ihm bewusst geworden, dass es „kein solides Anlagevehikel“ gab, mit dem es einfache Bürger „finanziell zu etwas bringen“ konnten.17 Er war daher entschlossen, eine stabilere und demokratischere Investmentplattform zu gründen. Sie sollte nicht nur langfristig erfolgreich sein, sondern auch das Leben der Menschen verändern.

 

Bei seinen Gesprächen an den Küchentischen der Kunden war Leffler bewusst geworden, dass es „kein solides Anlagevehikel“ gab, mit dem es einfache Bürger „finanziell zu etwas bringen“ konnten. Er war daher entschlossen, eine stabilere und demokratischere Investmentplattform zu gründen. Sie sollte nicht nur langfristig erfolgreich sein, sondern auch das Leben der Menschen verändern.


Lefflers Idee, dass man Fondsanteile jederzeit zurückgeben kann, war revolutionär. Er wusste aber, dass er Hilfe brauchte, um daraus ein funktionierendes Finanzprodukt zu machen.18 Drei Jahre lang19 stieß seine radikale Idee aber überall auf Ablehnung. Dann besuchte er die kleine Bostoner Brokerfirma Learoyd, Foster & Co.20 Charles H. Learoyd und Hatherly Foster Jr. waren sofort daran interessiert, aus Lefflers Idee ein ausgereiftes Anlagevehikel zu machen.21 Am 21. März 1924 gründeten die drei den Massachusetts Investors Trust (MIT).22

Tatsächlich unterschied sich das MIT-Konzept sehr von dem für die mittleren 1920er-Jahre typischen kurzfristigen Denken. Der Fonds war kostengünstig, da die Anteile nicht mit einem Aufschlag gegenüber dem Marktwert verkauft wurden. Außerdem bot er Kleinanlegern professionelles aktives Management.23 Statt die riskanten Positionen geschlossener Fonds zu kaufen, erwarb man Aktien sicherer etablierter Unternehmen, etwa aus den Sektoren Eisenbahnen und Versorger – und das bei einer niedrigen Mindestanlagesumme, die viele Menschen aufbringen konnten.24 MIT bot Durchschnittsinvestoren eine Liquidität, die zuvor niemand anzubieten gewagt hatte.25

MIT war nicht nur der erste Fonds von MFS, sondern auch der erste offene Investmentfonds der USA. Dieses bahnbrechende Produkt war die Geburt der Fondsbranche, wie wir sie heute kennen und die Millionen von Menschen finanzielle Sicherheit gibt.26

Heute, ein volles Jahrhundert nach seiner Gründung, lebt MIT weiter – eine radikale Innovation, aus der eine Branche mit 56,2 Billionen US-Dollar Volumen entstanden ist und die unser Leben wirklich verändert hat.27



Wichtiger Hinweis: Möglicherweise sind nicht alle hier genannten Fonds in Ihrem Land erhältlich.
 

Anmerkungen

1Gary Richardson, Alejandro Komai, Michael Gou und Daniel Park (2013): Stock Market Crash of 1929, https://www.federalreservehistory.org/essays/stock-market-crash-of-1929
2Certell.org, Stock Market Crash of 1929, https://vimeo.com/235944184, Min. 7:15-7:25.
3Certell.org, Stock Market Crash of 1929, https://vimeo.com/235944184, Min. 4:00-4:10.
4Paul F. Roye (2001): Speech by SEC Staff: The Exciting World of Investment Company Regulationhttps://www.sec.gov/news/speech/spch500.htm.
5Time Magazine (1959): WALL STREET: The Prudent Man, http://content.time.com/time/subscriber/article/0,33009,811169-1,00.html
6Lee Gremillion (2005): Mutual Fund Industry Handbook: A Comprehensive Guide for Investment Professionals, The National Investment Company Service Association (NICSA) und Acadient Incorporated, John Wiley & Sons, Hoboken, NJ, S. 16.
7Giulio Pontecorvo (1958): Investment Banking and Security Speculation in the Late 1920s, The Business History Review, Ausg. 32.2, S. 171.
8Gremillion, ebd.
9MFS Perspective (1999): MFS Turns 75, Ausg. 5, Nr. 1.; David Grayson Allen (2015): Investment Management in Boston: A History, University of Massachusetts Press, Boston, S. 144.
10Max Rottersman und Jason Zweig (1994): An Early History of Mutual Funds, Friends of Financial History, Museum of American Financial History, Ausg. 51, S. 12.
11Rottersman/Zweig, ebd., S. 17 (PDF S. 19); Gremillion, ebd.
12Allen, ebd., S. 139.
13MFS Perspective, ebd., S. 14.
14MFS Perspective, ebd.
15Julia A. Wilson (1949): A Story of Progress: On the Twenty-Fifth Anniversary of Massachusetts Investors Trust, Massachusetts Investors Trust, Boston, S. 10; H. Lee Silberman (1974): 50 Years of Trust: Massachusetts Investors Trust, 1924–1974, Massachusetts Financial Services, Inc., Boston, S. 2; MFS History & Quotes, S. 1.
16J. Bradford De Long und Andrei Shleifer (1991): The Stock Market Bubble of 1929: Evidence from Closed-end Mutual Funds, The Journal of Economic History, Ausg. 51.3., S. 677–678.
17https://www.sec.gov/news/speech/spch500.htm
18Allen, ebd.
19Rottersman/Zweig, ebd., S. 17.
20Rottersman/Zweig, ebd., S. 19.
21Natalie R. Grow (1977): The ‘Boston-type open-end fund’: Development of a national financial institution 1924–1940, Harvard University, unveröffentlichte PhD oder Masterarbeit, S. 74.
22Wilson, ebd., S. XX.
23Dwight P. Robinson (1954): Massachusetts Investors Trust: Pioneer in Open-End Investment Trusts, The Newcomen Society in North America, New York, S. 12.
24Rich Blake (2001): Massachusetts Miracle, Institutional Investor, New York, Ausg. 35, Heft 12, S. 58–64.
25MFS Perspective, ebd.
26John C. Bogle (2004): Before the United States Senate Governmental Affairs Subcommittee on Financial Management, the Budget, and International Securityhttps://www.hsgac.senate.gov/imo/media/doc/012704bogle.pdf
27https://www.grandviewresearch.com/industry-analysis/mutual-fund-assets-market-report.

 

56427.1
close video