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Unsicherheit ist nicht linear

Auch wenn sich die Märkte wohl wieder beruhigt haben, könnten höhere Kosten und schwächeres Wachstum die Lage nicht einfacher machen, schreibt Rob Almeida.

Autor

Robert M. Almeida, Jr.
Portfolio Manager und Global Investment Strategist 

Im Überblick

  • Der VIX1 signalisiert wachsende Unsicherheit. 
  • Die letzten Quartalszahlen der Unternehmen scheinen auf den ersten Blick ok, aber unter der Oberfläche lauern Probleme. Man fürchtet, dass es mit den KI-Investitionen nicht mehr so weitergehen kann.
  • Für Anleger könnte das zu einer Herausforderung werden. Auf den Finanzmarktkapitalismus nach der internationalen Finanzkrise könnte jetzt eine Zeit mit höheren Kosten und mehr Volatilität folgen.

Der VIX wird zur Parabel

In den letzten Tagen stieg der CBOE Volatility Index, besser bekannt als VIX, auf den höchsten Wert seit März 2020, als die Corona-Lockdowns begannen.

Im Leben, und ganz sicher an den Märkten, kommt Unsicherheit selten langsam und geordnet, sondern meist abrupt. Aber warum?

Vielleicht ist auch Ihr Posteingang so wie meiner voll mit Erklärungen, von Rezessionsrisiken in den USA über das Ende yenfinanzierter Carry Trades bis zur Vermutung, dass zu viel in KI-Infrastruktur investiert wurde. Sicher hat all das eine Rolle gespielt, und ich schreibe auch noch mehr dazu. Vielleicht übersehen Investoren dabei aber das wichtigere Signal, das der VIX zurzeit sendet.

Puzzleteile

Auf den ersten Blick sind die Quartalszahlen der Unternehmen ok. Sieht man aber genauer hin, erkennt man in den Äußerungen der Geschäftsleitungen immer mehr Anzeichen für Probleme – vor allem in Branchen wie zyklische Konsumgüter, Grundstoffe, Energie und Investitionsgüter. Angesichts der noch immer hohen Preise für Basiskonsumgüter wie Lebensmittel und Wohnen überrascht das nicht. Sie zwingen die Haushalte, an anderer Stelle zu sparen. Hinzu kommen die überraschend schwachen Industrie- und Arbeitsmarktdaten.

Ähnlich wie Haushalte planen auch Unternehmen jährlich ihre Budgets und passen sie an. Weil sie schnell viel in KI investieren wollen, muss bei anderen Technologieausgaben gespart werden. KI könnte andere Softwareinvestitionen verdrängen. Das zeigte sich schon in den letzten Monaten, als viele gefährdete Softwarehäuser ihre Gewinnerwartungen verfehlt oder überraschend gesenkt haben.

Beim Thema KI fallen die enormen Infrastrukturinvestitionen der sogenannten Hyperscaler auf, der großen Cloud-Computing-Anbieter, die ihre KI-Infrastruktur ausbauen und noch höhere Investitionen planen. Natürlich profitieren IT-Infrastrukturanbieter davon, etwa die Hersteller von Chips, Servern, Elektrogeräten, Netzteilen und Ähnlichem. Wie gesagt – viele Unternehmen schichteten ihre Investitionen schnell von Software und anderen IT-Bereichen in KI um, aber eine echte Änderung der Geschäftsprozesse braucht Zeit. Die tatsächliche KI-Nutzung der Unternehmen hält mit den enormen Investitionen der Hyperscaler keinesfalls mit. Die KI-Investitionen werden sich unserer Ansicht nach in den nächsten Jahren auszahlen, doch ändert das nichts daran, dass vielleicht zu viel investiert wurde und die Investitionen nachlassen könnten. Das weckt Zweifel an den Umsatz- und Gewinnerwartungen der KI-Zulieferer. Die Geschichte zeigt, dass bei der Einführung neuer Technologien die erforderliche Infrastruktur meist überdimensioniert ist. Darüber schrieb ich schon letzten Dezember unter dem Titel Was der Kapitalzyklus 2024 bewirken könnte.

Ich glaube aber, dass das nur Teile eines viel größeren Puzzles sind.

Was die Volatilität wirklich signalisieren könnte

In der Marktwirtschaft geht es darum, Ressourcen dort einzusetzen, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Damit sie funktioniert, müssen Investoren für die Dauer ihres Verzichts entschädigt werden. Sonst sind die Marktsignale fehlerhaft, und es kommt zu Fehlinvestitionen.

Viele scheinen vergessen zu haben, dass gerade erst eine Zeit mit künstlich niedrigen Zinsen zu Ende gegangen ist. Sie führte dazu, dass Kredite so billig waren wie seit 5.000 Jahren nicht mehr.

Louis-Vincent Gave von Gavekal Research zitierte gerade John Stuart Mills Studie über Kreditzyklen und Börsenkräche aus dem Jahr 1867: „Ein Börsenkrach zerstört kein Kapital. Er zeigt nur, wie viel Kapital schon vorher durch hoffnungslos unproduktive Investitionen zerstört worden ist.“

Durch zehn Jahre mit Nullzinsen und Quantitative Easing gab es so viele fremdfinanzierte Über-nahmen, Dividendenerhöhungen und Aktienrückkäufe wie seit Jahren nicht mehr. Zugleich sorgten Produktionsverlagerungen ins Ausland für eine geringere Kapitalintensität und fallende Arbeitskosten. All dies ließ die Gewinnmargen auf ein Allzeithoch steigen. Aber diese Entwicklungen haben sich verlangsamt, wenn nicht umgekehrt. 

Die Preise von Finanzaktiva bilden die künftigen Cashflow-Erwartungen ab. Zu Volatilitätsspitzen kommt es meist dann, wenn Anleger mit neuen Informationen konfrontiert werden, die die früheren Cashflow-Annahmen infrage stellen. Wir glauben aber, dass diese „neuen Informationen“, also die eben beschriebenen Teile des Puzzles, von Strategen und Kommentatoren heruntergespielt werden.

Vielleicht haben sie recht. Was wie Unordnung scheint, ist vielleicht nicht verstandene Ordnung. Was wäre, wenn wir es nicht mit akuten Gewinnproblemen zu tun haben, sondern mit chronischen Schwierigkeiten durch das neue Paradigma normalerer Kosten bei schwächerem Wachstum?

Wir glauben, dass die Volatilität dann nicht fallen, sondern steigen müsste. Ein kluger Investment-ansatz könnte dann auf Einzelwertauswahl setzen und Titel meiden, hinter denen „unproduktive Investitionen“ und unrealistische Cashflow-Erwartungen stehen. Das könnte sich lohnen.

 

Anmerkung

Der CBOE Volatility Index (VIX) gilt vielen als das weltweit wichtigste Maß der Aktienmarktvolatilität. Der VIX Index beruht auf den Echtzeitpreisen von Optionen auf den S&P 500 Index (SPX). Er soll abbilden, wie Anleger die erwartete 30-Tages-Volatilität am Aktienmarkt einschätzen. Oft wird der VIX Index als das „Angstbarometer“ des Marktes bezeichnet. Man kann nicht direkt in einen Index investieren. 

 

Die hier dargestellten Meinungen sind die des Autors/der Autoren und können sich jederzeit ändern. Sie dienen ausschließlich Informationszwecken und dürfen nicht als Empfehlung zum Kauf von Wertpapieren, Aufforderung oder als Anlageberatung verstanden werden. Prognosen sind keine Garantien. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist keine Garantie für künftige Ergebnisse.

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