Im Überblick
- Konjunkturprognosen sind schwierig. Es hilft aber, wenn man den Kapitalzyklus versteht.
- In den USA hat vor allem wegen der KI-Investitionen ein neuer Kapitalzyklus begonnen.
- Demnächst dürften andere Unternehmen zu den Gewinnern zählen – und zu den Verlierern.
Etwa die Hälfte der Aktienmarktprognosen ist falsch. Sie sind aber immer noch besser als Konjunkturprognosen. Für 2024 hatten die Volkswirte den USA eine Rezession und einen Rückgang der Inflation auf 2% vorhergesagt. Und nach dem jüngsten US-Arbeitsmarktbericht wurden im Dezember so viele neue Stellen geschaffen, dass die Konsensprognosen um mehr als 3 Standardabweichungen übertroffen wurden.
Was macht Konjunkturprognosen so kompliziert?
Wer Konjunkturprognosen als schwierig bezeichnet, untertreibt. Sie sind eine enorme Heraus-forderung und äußerst komplex. Wegen der vielen Einflussfaktoren ist das BIP kein statisches Maß wie das Vermögen, der Unternehmenswert oder die Marktkapitalisierung. Das BIP erfasst die dynamischen Kapitalströme einer Volkswirtschaft. Dazu werden alle Ausgaben genau erfasst, ihre Höhe ebenso wie Ort und Initiator. Das BIP fasst vieles zusammen, das sich oft gegenläufig entwickelt.
Konjunkturmodelle beruhen also auf vielen aggregierten Zahlen, sodass Trend- und Richtungs-wechsel manchmal nicht leicht zu erkennen sind. Scheinbar unbedeutende oder unwichtige Daten werden oft kaum beachtet oder gleich ganz übersehen. Oft merkt man erst Jahre später, welche Daten schon lange vorher eine Trendwende bei den Kapitalflüssen angezeigt haben.
Da kann es helfen, wenn man seine gesamtwirtschaftlichen Prognosen um eine Bottom-up-Sicht ergänzt.
Wie der Kapitalzyklus den Konjunkturzyklus erklären kann
Kapitalmärkte sollen Sparer, die mehr als den Geldmarktzins verdienen wollen, mit Unternehmern zusammenbringen, die zwar Ideen haben, aber kein Geld. Um an Kapital zu kommen, verzichten sie auf einen Teil der potenziellen Gewinne. Da Nutzenerwartungen und Projektrisiken die Kapitalallokation bestimmen, zeigt sie, wo man mit Wachstum rechnet und wo mit einem Minus.
Nehmen wir als Beispiel den aktuellen, sehr langen, aber recht schwachen Konjunkturzyklus seit der Finanzkrise 2008. Haushalte und Banken haben ihre Finanzen in Ordnung gebracht, aber die jahrelange Sparsamkeit und der Schuldenabbau dämpften das Wachstum. Produktions-verlagerungen ins Ausland, um Kosten zu sparen, machten es nicht besser. Als die Deflationsrisiken zunahmen, wollten die Notenbanken den Kapitalzyklus durch künstlich niedrige Zinsen wieder in Gang bringen. Es entstand dann auch ein neuer Zyklus, aber er war anders als vielfach erhofft. Statt wirklich in physische Aktiva zu investieren, wurde viel Kapital über Dividenden und Rückkäufe an die Aktionäre zurückgegeben. Das Ergebnis war einer der längsten Konjunkturzyklen seit Jahrzehnten. Viele Aktienanleger wurden reich.
Wo aber fließt das Kapital heute hin? Erklärt die Antwort, warum die USA noch immer eine Sonder-stellung einnehmen? Und vor allem: Hilft sie uns bei Prognosen?
Der aktuelle Kapitalzyklus – und warum er wichtig ist
Viele in den USA genutzte Güter, auch sicherheitsrelevante, werden im Ausland produziert. US-Unternehmen mussten daher kein physisches Kapital aufbauen. China hat es für sie getan, und die Aktionäre hat es gefreut.
Doch in den letzten Jahren bewirkte die Kombination aus Corona, wachsenden internationalen Spannungen und der Aussicht auf höhere Zölle eine Veränderung. Ein effizientes, kostengünstiges Wirtschaftssystem wird durch eines ersetzt, in dem die Lieferketten kürzer sind und Güter näher am Heimatmarkt produziert werden. Viele Jahre lang sind die amerikanischen Unternehmens-investitionen im Verhältnis zu den Umsätzen gefallen, aber das kehrt sich jetzt um. Ein neuer Kapitalzyklus hat begonnen. Doch Repatriierung ist noch nicht die ganze Erklärung.
Da Künstliche Intelligenz vor allem in den USA entwickelt wird, saugt das Land die weltweite Investitionskapazität auf. Abbildung 1 zeigt die Netto-Auslandsinvestitionen der USA (also die Differenz zwischen den Auslandsinvestitionen von Amerikanern und den ausländischen Investitionen in den USA). Mit jetzt -22 Billionen US-Dollar haben sie sich seit der Zeit im Vorfeld kurz vor der internationalen Finanzkrise mehr als vervierfacht.