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Das große Ganze

Die Welt ist unsicher geworden, und kurzfristiges Denken ist allgegenwärtig. Carol Geremia schreibt über Fehlanreize in der Investmentbranche und zeigt, warum man ihrer Meinung nach umdenken muss, um Kunden langfristigen Mehrwert bieten zu können.

AUTORIN

Carol Geremia
President of MFS & Co-Head of Global Distribution

Die letzten Jahre waren intensiv. Erst Corona, danach gleich mehrere Krisen auf einmal – eine Polykrise. Die Geschichte lehrt uns, dass ein Problem dann zu einer Krise wird, wenn wir es nicht mehr bewältigen können, keine Lösungen finden oder gar unsicher ist, ob wir es überstehen.

In dieser Studie geht es aber weder um Märkte noch um Dinge, die wir nicht kontrollieren können, wie Zinsen, Rezessionsanzeichen und weltpolitische Risiken. Es geht um langfristige Lösungen, die uns krisenfester machen. Es geht um das große Ganze.

Die neun Schlagworte in Abbildung 1 bilden unseren Rahmen. Sie helfen uns bei der Betrachtung der Innen- und Außenwelt, der Analyse unserer aktuellen Lage und der Vorstellung, was für eine Zukunft wir wollen. Wir müssen unsere Komfortzone verlassen, vor allem, wenn sie sich bisher bewährt hat. Wie heißt es so schön? „Was Sie hierhergebracht hat, wird Sie nicht weiterbringen.“ 

Wir sollten also über den Tellerrand hinausblicken – mit einer Grundhaltung, die echten Wandel ermöglicht. Aber das ist nicht einfach.

Zunächst einmal müssen wir:

■ Einschätzen, wo wir stehen und wie es dazu kam

■ Sinn und Zweck („Purpose“) unserer Branche genau prüfen

■ Die Angst vor Fehlern überwinden

■ Unsere Fähigkeiten anders nutzen

■ Neue Verbündete und Organisationen finden, die Wandel ermöglichen

■ Mutig handeln, um in unserer unsicheren Welt etwas bewirken zu können

Wer sollte mitmachen? 

Jeder kann dabei mitmachen. In unserer Studie konzentrieren wir uns aber auf bestimmte Akteure und nennen sie das „System“. Es sind jene Individuen und Organisationen, die die Endanleger mit den Portfoliounternehmen verbinden – Fondsmanager, die Anlageentscheidungen treffen, Berater, die ihren Kunden zur Seite stehen, und alle, die den Prozess steuern.

Neue Verbindungen sind nötig

„Was wäre, wenn unser tatsächlicher Zweck dem erklärten näherkäme? … Was wäre, wenn wir uns mehr am Menschen orientierten?“1

The Big Shift

In der Studie „The Big Shift“ zeigt State Street, warum wir umdenken müssen. Verwiesen wird auf die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Zweck der Branche (dem, was wir tun) und ihrem erklärten (was wir vorgeben zu tun). Der erklärte Zweck hat sich immer weiter von der Realität entfernt. Erklärter Zweck der Investmentbranche ist laut State Street, durch verantwortliche Kapitalanlage zum Wohlstand beizutragen und Anlegern zu helfen, ihre finanziellen Ziele zu erreichen. Es handelt sich also um zwei Dinge, wobei es immer mehr Widersprüche gibt.

Die Makrosicht: Wo die Diskrepanz beginnt

In den letzten 30 Jahren hat sich die Investmentwelt enorm verändert. Nach der Asset-Allokations-Studie des Callan Institute müssen Anleger heute größere Risiken eingehen als damals (Abbildung 2).2

Weil Anleger höhere Risiken eingingen, wurde die Asset-Allokation komplexer. Außerdem wurden Assetmanager gezwungen, kurzfristiger Rechenschaft abzulegen und ihre relativen Vergangenheitserträge zu messen. Dadurch wiegten wir uns in der falschen Sicherheit, die Risiken unter Kontrolle zu haben.

Am wenigsten passen aber Zeithorizont und Risiko zusammen, was zu einem Paradoxon führte. Einerseits gehen wir höhere Risiken ein, sodass wir mehr verlieren können. Andererseits wird die Performance häufiger gemessen. Assetmanager müssen daher mehr auf die kurzfristige Entwicklung als auf den langfristigen Wert achten.

Vielleicht liegt das daran, dass die Zinsen viel zu lange sehr niedrig waren. Es gab einfach keine anderen Ertragsmöglichkeiten, sodass der Bedarf an professionell gemanagten Fonds und professioneller Beratung in den letzten Jahrzehnten explodiert ist. 

Drastische Verkürzung der Zeithorizonte

Es ist seltsam, dass die Haltedauern mit dem deutlichen Zuwachs an Investmentkompetenz immer kürzer wurden.

1945 befanden sich 10% des amerikanischen Aktienmarktes in den Händen institutioneller Investoren, und 2022 waren es 95%.3 Fast zeitgleich fiel die durchschnittliche Haltedauer einer Aktie von 96 Monaten im Jahr 1950 auf 5,5 Monate im Jahr 2022.4 Selbst die durchschnittliche Haltedauer von Fondsanteilen beträgt nur noch 3,9 Jahre, gegenüber 16 vor 30 Jahren.5

Wir müssen die systemischen Auswirkungen dieser kurzen Anlagehorizonte verstehen – und überlegen, ob dieses System zukunftsfähig ist. Wir müssen auch untersuchen, was dieses kurzfristige Denken für die langfristigen Ergebnisse der Endanleger und das Verhalten börsennotierter Unternehmen bedeutet. 

Neue, noch eher unbekannte Risiken

Investieren ist risikoreicher und wesentlich kurzfristiger geworden. In unserem Bemühen, Risiken zu verringern, haben wir Erträge diversifiziert. Dabei sind wir aber unbewusst neue, noch weitgehend unbekannte Risiken eingegangen – vor allem die folgenden vier:

  1. Das immer beliebtere passive Investieren ist zwar kosteneffizient und ermöglicht ein breites Engagement am Markt, führt aber auch zu einer enorm konzentrierten Eigentümerstruktur. Das hatte nicht nur Folgen für das Marktverhalten, sondern ließ auch Zweifel an Sinn und Rolle des aktiven Managements aufkommen.
  2. Die nachlassende Bedeutung langfristigen aktiven Managements auf Basis umfassender Informationen hat große Auswirkungen auf Corporate Governance, Aktionärsengagement und Unternehmensbewertung. Da immer mehr Anleger auf passive Strategien setzen, verlieren aktive Manager ihre Rolle als Treuhänder des Kapitals und bei der Preisfindung.
  3. Ein weiteres Risiko ist der Aufstieg alternativer Investments mit fehlender Transparenz, geringer Liquidität und höheren Kosten. Alternative Investments ermöglichen zwar Diversifikation und vielleicht auch hohe Erträge, haben aber ihre eigenen Risiken und Komplexitäten, die man sorgfältig steuern muss.
  4. Schließlich wird kontrovers über den schwierigen Versuch diskutiert, systemische Risiken mit ESG anzugehen. ESG-Faktoren sind bei Anlageentscheidungen zwar wichtiger geworden, doch fehlt es ihnen an Standardisierung, Transparenz und einer soliden Berichterstattung. Die ESG-Integration führte zu neuen Herausforderungen und vielerlei Missverständnissen. 

Für die Investmentbranche sind diese Risiken eine große Herausforderung, auf die wir im Folgenden näher eingehen. Wir müssen uns aber die Frage nach unseren eigenen Fehlern stellen: Schieben wir einfach nur Kapital hin und her – oder investieren wir? Investieren wir in Papiere oder echte Unternehmen? Die Antworten darauf bestimmen nicht nur unsere Zukunft, sondern auch, wie sicher wir uns unserer Ziele und unserer Portfolios sind. Wir haben die einzigartige Chance, die Dinge jetzt aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.

Die Auswirkungen des passiven Investierens auf die Börsen

Ende 2023 war das Volumen passiver Fonds größer als das Volumen aktiver Fonds.6 Diese „Passivierung“ der Börsen hat massive Auswirkungen auf die Kapitalmärkte und das Investmentmanagement. Doch wann wird ein Markt zu passiv? Schon Jack Bogle, Gründer von Vanguard und Vater der Indexinvestitionen, hatte davor gewarnt. Er fürchtete Konzentrationsrisiken und Auswirkungen auf die Unternehmensführung und den Marktmechanismus.7 Nach einer Studie des amerikanischen National Bureau of Economic Research wird bei zu vielen Indexfonds die Effizienzmarkthypothese infrage gestellt. Sie kommt zu dem Schluss, dass Aktien wegen des immer häufigeren passiven Investierens vor Überraschungen geschützt sind und die Kurse nicht mehr wie bisher die Fundamentaldaten abbilden.8

Passives Investieren und der regelmäßige Vergleich der Performance mit Benchmarks haben auch zu einer gewissen Distanz zwischen Investoren und Portfoliounternehmen geführt. Die Non-Profit-Organisation Focusing Capital on the Long Term (FCLTGlobal) analysiert, wie Unternehmen und Investoren langfristig denken und handeln können, und hat dazu das Beispiel Coca-Cola untersucht. Es zeigte sich sehr deutlich, zu welchen Verzerrungen Benchmarkinvestitionen führen können: „50% der Aktionäre von Coca-Cola ist es egal, ob sie besser sind als Pepsi. Wettbewerbsfähigkeit und Erfolg interessieren sie nicht. Sie sind einfach nicht Teil des Coca-Cola-Teams.“9 Für sie zählt nur, ob sie eine Benchmark schlagen, nicht der Wert der Unternehmen und wie sie ihr Geschäft führen, um langfristig erfolgreich zu sein.

Um das noch deutlicher zu machen, teilt FCLT die Coca-Cola-Aktionäre in mehrere Gruppen ein:

  • 28% sind Privatanleger. Sie sind Teil des Coca-Cola-Teams.
  • 6% sind kurzfristig denkende Hedgefonds. Sie handeln die Aktie oder versuchen, Preisverzerrungen auszunutzen. Ob Coca-Cola auf Dauer Erfolg hat, ist ihnen aber egal.
  • 25% sind passive Investoren, die auch in Pepsi investiert sind (jeweils mit dem Indexgewicht) und denen es deshalb egal ist, ob Cola oder Pepsi am Ende vorn liegt.
  • 42% sind aktive Manager, die gegenüber der Benchmark über- oder untergewichtet sind. Die Hälfte von ihnen ist untergewichtet und hofft, dass Pepsi besser ist.

Dieses Beispiel lässt sich auf viele andere große, börsennotierte Unternehmen übertragen, sodass die Managementteams oft andere Ziele haben als die Eigentümer. Es gibt also Anreize zum kurzfristigen Denken und nicht zur langfristigen Wertschöpfung. Diese Entwicklung macht eine fehlerhafte Kapitalallokation wahrscheinlicher und hat große Auswirkungen auf passive wie aktive Investoren.

Der Widerspruch des aktiven Managements

Im aktiven Management haben Anlageziele und Performancemessung oft nur wenig miteinander zu tun. Die meisten aktiven Manager wollen über einen vollen Marktzyklus regelmäßig Alpha erzielen. Die Methoden zur Performancemessung passen aber häufig nicht zu diesem langfristigen Ziel.

In der Investmentbranche achtet man vor allem auf die 3- und 5-Jahres-Performance, um die Fähigkeiten eines Managers zu beurteilen. Marktzyklen haben aber eine andere Länge: Ab 1970 waren es im Schnitt 7 bis 10 Jahre, und die letzten drei (ab 1987) dauerten sogar durchschnittlich 11,5 Jahre. Die allermeisten Anleger wissen das, sind aber trotzdem nicht bereit, ein negatives 3-Jahres-Alpha zu akzeptieren.10 Dieser Widerspruch zeigt eindrucksvoll, dass wir Performance und Erfolg im aktiven Management anders messen müssen. Aber wie? Worauf kommt es langfristig an?

Sind Benchmarks das Problem?

Die wachsende Zahl von Indizes macht die relative Performance immer beliebter. Es ist kaum zu glauben, aber heute gibt es 2,4 Millionen Indizes bei nur 43.000 börsennotierten Unternehmen. Dieses enorme Missverhältnis führt nur dazu, dass man noch stärker der kurzfristigen Performance hinterherjagt und das Kapital einfach nur hin- und herschiebt, statt wirklich in Unternehmen zu investieren. Wir vergleichen ständig die kurzfristige Vergangenheitsperformance mit der Benchmark, sodass aktive Manager in der Regel zum falschen Zeitpunkt des Marktzyklus engagiert oder entlassen werden. Robert Arnott, Vitali Kalesnik und Lillian Wu schreiben in ihrer Studie „The Folly of Hiring Winners and Firing Losers“ im Journal of Portfolio Management, dass Endanleger jährlich etwa 80 bis 150 Basispunkte durch die Jagd nach der Vergangenheitsperformance einbüßen.11

Nicht ESG, sondern Zeit

ESG-Faktoren (Umwelt, Soziales, Governance) sind in der Investmentbranche heute ein heißes Thema. Die Diskussion ist aber politisch und verkennt den wirtschaftlichen Zweck von ESG. Es geht darum, Chancen zu entdecken und Risiken zu meiden.

Seit 1950 hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdreifacht, mit enormen Auswirkungen auf die natürlichen Lebensgrundlagen.12 Alex Edmans von der London Business School meint, dass ESG, wie wir es heute kennen, bald passé ist. „ESG ist kein Extra und keine separate Überlegung“, schreibt er. „ESG-Faktoren sind wichtig für den langfristigen Erfolg eines Unternehmens. Wenn man sie bei der Bewertung eines Unternehmens berücksichtigt, ist das nicht ESG-Investieren, sondern Investieren schlechthin.“13

Anleger erkennen, dass das sehr viel komplexer ist als passive Ausschlüsse auf Basis von ESG-Filtern. Man muss alle Risiken verstehen, die große Auswirkungen auf den Wert eines Unternehmens haben können. Die Entscheidung, die man dann trifft, ist eine aktive. Doch wie bereits erwähnt, führt nicht jeder Anleger genügend Analysen durch, um die Geschäftsmodelle wirklich zu verstehen und so langfristig denken zu können, dass er dem Druck zu kurzfristigen Entscheidungen widersteht.

(K)eine Win-win-Situation

Die Veränderungen der Investmentlandschaft sind nicht nur für Investoren ein Grund zur Sorge. Auch Unternehmen sehen sich unter Anpassungsdruck und müssen darauf reagieren. In den letzten Jahren wurde das klassische Shareholder-Value-Paradigma – die Idee, dass ein Unternehmen vor allem seinen Aktionären verpfl ichtet ist – mehr und mehr hinterfragt.

Milton Friedman hat diesen Gedanken schon 1970 formuliert. In der Theorie sollen „Unternehmen so geführt werden, dass die Gewinne der Aktionäre maximiert werden und es vorrangig um ihre Interessen geht – zum Nutzen aller“. Eine „Win-win-Situation“, aus seiner Sicht. Aber Welt und Märkte sind heute völlig anders, und nach den Wirtschaftstheoretikern Leo E. Strine, Jr. und Aneil Kovvali von der University of Chicago beschreibt Friedman keineswegs eine Win-win-Situation.14 Strine und Kovvali haben die Erträge von Aktionären und Stakeholdern analysiert und viele Belege dafür gefunden, dass Friedmans Gedanke gescheitert ist. Sie zeigen zwar, dass die Theorie nicht funktioniert hat – aber bleiben die Gründe dafür schuldig, warum es so kommen musste:

  • Die niedrigen Kapitalkosten und die immer zahlreicheren, eher risikoreichen Titel.
  • Die Zunahme des passiven Investierens seit 1970, sodass jedes Unternehmen einfach nur aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer Benchmark Kapital bekommt.
  • Das immer kurzfristigere Denken mit dem Ziel, Benchmarks zu schlagen. 

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Friedman jemals auch nur an einen dieser drei Punkte gedacht hat. Jetzt verlangen Verbraucher, Aufsichtsbehörden und Investoren, dass man die Stakeholder-Interessen ernst nimmt. Unternehmen, denen das gelingt, können davon profi tieren und langfristigen Investoren hohe Erträge bescheren. Das ist nichts Neues.

Vertrauen bilden

2015 hat State Street eine weitere internationale Studie zur Assetmanagement-Branche durchgeführt. Sie trägt den Titel „The Folklore of Finance“. Ihr wichtigstes Thema ist heute sogar noch aktueller als damals.

State Street schreibt, wie Abbildung 6 zeigt, dass die Branche zu viel Zeit mit Dingen verbringt, die keinen Mehrwert schaffen. Das gilt für die langfristigen Erträge ebenso wie für die Langfristziele der Anleger.

Wir brauchen eine bessere Übereinstimmung. Die CFA-Investor-Trust-Umfrage zeigt immer wieder, dass Endanlegern Vertrauen wichtiger ist als kurzfristige Ergebnisse. Sie legen doppelt so viel Wert darauf, dass der Assetmanager ihre Interessen wirklich vertritt.

Mutiges Handeln ist gefragt: Performancemessung überdenken

Was wäre also, wenn wir neue Standards hätten, damit Portfoliomanager besser Rechenschaft ablegen und die Interessen stärker übereinstimmen? Wie sollten wir die langfristige Performance messen? Heute behauptet jeder, ein Langfristinvestor zu sein, aber die Branche handelt nicht so. Nach einer Studie von CREATE-Research16 messen heute 70% der institutionellen Investoren die Performance relativ, also im Vergleich zu einer Benchmark, und nur 30% absolut. Viele glauben, dass sich das bald ändert, und dass dann 70% die absolute und nur noch 30% die relative Performance messen. Dann entstünde ein wünschenswertes neues Gleichgewicht von Zielen und Risikomanagement. Die Branche könnte auch beginnen, die Performance mit den gewünschten Langfristergebnissen der Endanleger zu vergleichen und neue Kennzahlen für das langfristige Verhalten einzuführen. Solche Kennzahlen könnten etwa die Stabilität eines Portfolios belohnen statt das Hinterherjagen nach kurzfristigen Zielen, das nur zu höheren Risiken führt.

WTW (ehemals Willis Towers Watson) beschreibt die Entwicklung der Performancemessung. Wir seien keine Start-ups mehr, so WTW, sondern befänden uns jetzt auf halbem Weg zwischen der Alpha-Ära und der dysfunktionalen ESG-Ära. WTW hofft auf eine neue Stakeholder-Ära, in der mehr Faktoren bei der Performancemessung berücksichtigt werden, mit Innovationen und neuen Methoden für die Messung der langfristigen Wertschöpfung. 

Viele große institutionelle Investoren entwickeln sich ebenfalls weiter, vor allem solche, die ihre Finanzanlagen wieder selbst managen. Sie erkennen die Fehler des derzeitigen Systems und wissen um die Bedeutung der Rechenschaftspflicht, intern wie extern. Das könnte ein großer Schritt nach vorn sein auf dem Weg zu einer besseren Übereinstimmung der Interessen. Es kann auch helfen, bislang vernachlässigte systemische Risiken anzugehen, die zum Investieren heute einfach dazugehören, etwa ESG, Cyberattacken und sogar bestimmte Aspekte der Künstlichen Intelligenz.

Mutiges Handeln: Einige Beispiele

Mutiges Handeln („Bold Action“) ist nicht nur ein theoretisches Konzept. Verschiedene Unternehmen der Assetmanagement-Branche setzen es um. Zwei Beispiele fallen besonders auf: die Long-Term Stock Exchange (LTSE) und Focusing Capital on the Long Term (FCLT).

Die LTSE, gegründet von Eric Ries, Autor von „The Lean Startup“, wurde 2019 von der SEC zugelassen. Sie vollzieht eine radikale Abkehr von traditionellen Börsen und beruht auf fünf Grundsätzen, darunter langfristiges Denken, Interessenkongruenz und Stakeholder Value. Zusammen mit dem Stanford Center for Long-Term Investing hat die LTSE 75.000 aktive Investoren (Investment-, Hedge-, Staats- und Pensionsfonds) analysiert. Ihr langfristiges Verhalten wird als gut, zufriedenstellend oder schwach bewertet. Ziel ist, langfristige Investoren mit Unternehmen zusammenzubringen, die ebenfalls langfristig orientiert sind. Die LTSE ist ein mutiger Versuch, die Kapitalmärkte zu verändern, und Unternehmen, für die der langfristige Erfolg im Mittelpunkt steht, eine Plattform zu bieten.

Die bereits erwähnten Analysen von FCLTGlobal haben gezeigt, dass es langfristigen Finanzergebnissen sehr nützen kann, wenn börsennotierte Unternehmen das Kapital ihrer Aktionäre wirklich langfristig investieren. Eine solche Übereinstimmung der Interessen kann zu höheren Kapitalrenditen (ROIC), Forschungs- und Entwicklungsausgaben und generell höheren Investitionen führen. Außerdem kann der Bedarf an kurzfristigen Ausblicken oder Schätzungen nachlassen.

Diese Beispiele zeigen, dass mutiges Handeln nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll ist. Sie zeigen, dass Unternehmen und Investoren echten Mehrwert für sich und für die Aktionäre schaffen können, wenn sie ihre Strategien und ihr Verhalten aufeinander abstimmen und beides wirklich langfristig ist.

Und warum das alles?

Uns bei MFS treibt der sprichwörtliche Elefant im Raum, aber eigentlich sind es zwei:

  • Welchen Nutzen hat langfristiges aktives Management?
  • Handeln wir gemäß unserem Unternehmenszweck (Purpose)?

In den letzten 100 Jahren hat MFS viel gelernt. Das hat unser Bewusstsein für die Bedeutung langfristiger Erträge durch aktives Management und echten Wandel geschärft. Wir wissen, dass mutiges Handeln gefragt ist. Als aktive Manager dürfen wir nicht einfach nur der Herde folgen, sondern müssen das tun, was unseren Zielen und dem doppelten Zweck der Branche entspricht. Wir können für wirtschaftlichen Wohlstand sorgen, indem wir umdenken, sodass Anleger ihre finanziellen Ziele erreichen können. Unsere Geschichte hat uns gezeigt, dass wir als Unternehmen Dinge verändern müssen, mit den Investoren zusammen und für sie. Wir wollen innovativ sein und partnerschaftlich zusammenarbeiten, um eine bessere Übereinstimmung der Ziele zu erreichen, damit man uns auch in Zukunft vertraut.

Fazit

Wer wirklich etwas ändern will, kann das nicht allein. Es ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Wir müssen gemeinsam entscheiden, wie wir Mehrwert messen und was wir als Branche tun. Wir können damit anfangen, indem wir unsere Komfortzone verlassen und geltende Regeln hinterfragen, indem wir innovativ statt gleichgültig sind und das System krisenfester machen. Investoren und die Unternehmen in unserem Anlageuniversum zählen darauf, dass wir Diskrepanzen erkennen, Abhilfe schaffen und Hürden beseitigen, die uns davon abhalten, das Kapital unserer Kunden verantwortungsvoll zu investieren.

 

 

 

Anmerkungen

Mirtha Kastrapeli, Jem Hudson, Mimmi Kheddache Jendeby und Philip Palanza (September 2019): The Big Shift: Finding a New Center of Gravity in the Investment Industry, State Street.
2 Callan Institute (2023): Risky Business, https://www.callan.com/blog-archive/risky-business-2023/. Das Callan Institute führt auf Basis eigener Kapitalmarktprojektionen Asset-Allokations-Studien für Kunden durch, um die Risiken von Portfolios zu erkennen, die einen bestimmten erwarteten Ertrag erzielen sollen. Callan verfügt über ein Optimierungstool, um die sogenannte Effizienzgrenze zu finden, also die richtige Kombination von Aktiva, um beim geringstmöglichen Risiko den höchstmöglichen Ertrag zu erzielen.
Federal Reserve Report 2022, Federalreserve.gov.
4 NYSE-Daten, Reuters-Erhebung von 2022.
5 John C. Bogle (2005): The Mutual Fund Industry Sixty Years Later: For Better or Worse?, Financial Analysts Journal.
Quelle: https://www.morningstar.com/funds/recovery-us-fund-flows-was-weak-2023
7 The Wall Street Journal online, 29. November 2018, und Forbes, 12. Februar 2019.
8 Katie Martin (23. Januar 2024): Grumblers: About Passive Investing May Have a Point, Financial Times, https://financialpost.com/financial-times/grumblers-passive-investing-have-point
9 Sarah Keohane Williamson (5. Juli 2023): Coke or Pepsi? Most of Coke’s Shareholders Don’t Care, Forbes, https://wwwforbes.com/sites/sarahkeohanewilliamson/2023/07/05/coke-or-pepsi-most-of-cokes-shareholders-dont-care/
10 MFS Institutional Investor Compass 2021, Umfrage unter 540 institutionellen Investoren weltweit.
11 Robert Arnott, Vitali Kalesnik, Lillian Wu (Herbst 2018): The Folly of Hiring Winners and Firing Losers, The Journal of Portfolio Management, https://www.researchaffiliates.com/content/dam/ra/publications/pdf/706-the-folly-of-hiring-winners-and-firing-losers.pdf
12 University of Cambridge, Institute for Sustainability Leadership (2017): Rewiring the Economy.
13 Alex Edmans, The End of ESG, Long Business School.
14 Aneil Kovvali und Leo E. Strine, Jr. (7. Januar 2022): The Win-Win That Wasn’t: Managing to the Stock Market’s Negative Effects on American Workers and Other Corporate Stakeholders, University of Chicago, Coase-Sandor Institute for Law & Economics, Research-Paper Nr. 940, University of Pennsylvania, Institute for Law & Economics, Research-Paper Nr. 22-01, verfügbar bei SSRN: https://ssrn.com/ abstract=4007542 oder http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.4007542
15 Coalition Greenwich befragte im Oktober und November 2021 3.588 Privatanleger und 976 institutionelle Investoren aus 15 Ländern weltweit. Die Privatanleger waren mindestens 25 Jahre alt mit einem investierbaren Vermögen von mindestens 100.000 US-Dollar, außer in Indien, wo das Minimum 500.000 Rupien (5 Lakh) betrug. Investierbare Aktiva waren Pensionspläne, Aktien, Anleihen, Investmentfonds und andere Finanzinstrumente. Das Alter der Anleger umfasst mehrere Generationen, und sie waren zu 62,9% männlich, zu 37,0% weiblich; 0,1% waren nichtbinär oder wollten ihr Geschlecht nicht nennen. Zu den institutionellen Investoren zählten Personen, die für Anlageentscheidungen mit einem verwalteten Vermögen von mindestens 50 Millionen US-Dollar (von öffentlichen und privaten Pensionsfonds und Stiftungen, Versicherungen und Staatsfonds) verantwortlich waren. 
16 Amin Rajan (2018): Passive Investing: Reshaping the Global Investment Landscape, CREATE-Research.

Die hier dargestellten Meinungen sind die des Autors/der Autoren und können sich jederzeit ändern. Sie dienen ausschließlich Informationszwecken und dürfen nicht als Empfehlung zum Kauf von Wertpapieren, Aufforderung oder als Anlageberatung verstanden werden. Prognosen sind keine Garantien.

Diversifikation garantiert keine Gewinne und schützt auch nicht vor Verlusten. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist keine Garantie für künftige Ergebnisse.

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